Vor kurzem erreichte uns eine Anfrage der Redaktion der Buddhismus Aktuell: Was verstehen wir unter einem lebendigen Buddhismus? Mit der Übernahme des Retreat-Zentrums Altbäckersmühle vor vier Jahren standen wir vor einer grundlegenden Frage: Wie kann der lebendige Buddhismus, die Weisheitslehre, inmitten eines modernen, alltäglichen Lebens wach und gegenwärtig bleiben? Die Auseinandersetzung mit dieser Frage führte uns auch zur Überlegung, wie wir diesen besonderen Ort definieren. Ein Zentrum? Ein Seminarhaus? Ein klassisches Kloster? Nichts davon schien wirklich zu passen. Das Einzige, dessen wir uns sicher waren, war, dass wir letztlich gar nicht so viel wussten – und erst recht nicht, wohin uns dieser Weg führen sollte. So entstand allmählich der Begriff des „experimentellen Klosters“. Ein Ort, der offen und undogmatisch bleibt, der alte Traditionen aufnimmt und Neues einfließen lässt, der sich stets wandelt und weiterentwickelt. Im Alltag des Klosters bedeutet dies z.B. ganz konkret: Welche Angebote machen wir, und wie gestalten wir diese, um der Weisheit und Praxis des lebendigen Buddhismus gerecht zu werden?
Die Transformation der Altbäckersmühle symbolisiert genau das, was lebendiger Buddhismus bedeutet: So wie früher Getreide in Mehl verwandelt wurde, geht es heute darum, dass hier das Bewusstsein „gemahlen“ und verwandelt wird, indem wir die Lehre in unser alltägliches Leben integrieren. Die Sanierung der Mühle war ein achtsamer Prozess, der darauf abzielte, die Struktur und den Geist des historischen Gebäudes zu bewahren und gleichzeitig in die heutige Zeit zu führen. Zwischen alten Holzbalken, erhabenen Bruchsteinwänden und neuen, modernen Akzenten entfaltet sich eine Ästhetik, die Tradition und Gegenwart vereint. Im Spiel von Licht und Raum begegnen sich altes Handwerk und neue Technologien – eine Architektur, die für uns die Verbindung von Zen-Praxis und moderner Lebenskunst verkörpert. So wird die Mühle selbst zu einem Spiegel unserer Praxis, die nicht nur in der formellen Meditation, sondern in jeder Handlung und Begegnung lebendig wird.
Zentral ist für uns der Begriff der „Ästhetik der Existenz.“ Dies ist nicht bloß eine theoretische Idee, sondern eine Einladung, das Leben mit all seinen Facetten als eine bewusste Praxis zu gestalten – im tiefsten Sinn als eine Lebenskunst. Lebendiger Buddhismus bedeutet, die Schönheit und Weisheit des gegenwärtigen Moments in den Alltag zu integrieren, sei es durch das achtsame Kochen, das Zusammensein in der Gemeinschaft oder die gemeinsame spirituelle Praxis. Ebenso wie die Mühle sowohl ihre historische Form bewahrt als auch neuen Bedürfnissen gerecht wird, entwickelt sich unsere Praxis im experimentellen Kloster ständig weiter. Die Integration von Körperarbeit, Kunst und alltäglichen Ritualen ist unser Weg, die tiefe, zeitlose Weisheit der Zen-Lehre in die moderne Lebensrealität zu übersetzen.
Die zeitlose Praxis, die uns überliefert wurde, hat ihre Wurzeln in der japano-zen-buddhistischen Tradition. Diese Praxis durchdringt alle Lebensbereiche und bringt Weisheit in den Alltag. Haikus und Koans beispielsweise sind nicht nur literarische Formen, sondern Ausdruck einer unmittelbaren Begegnung von Sprache und Herz-Geist. Ebenso verbinden Kalligraphie, Tuschmalerei, Klangarbeit, Bogenschießen oder BuDo Körper und Geist im gegenwärtigen Augenblick. Diese Ausdrucksformen sind Wege, die Gegenwart zu durchdringen und den Alltag mit Weisheit und Achtsamkeit zu erfüllen.
Ein zentrales Element unserer Praxis ist die Klosterküche. Sie steht in der Tradition des „Tenzo Kyokun“, den Anweisungen von Dogen Zenji an den Tenzo (Koch) im Kloster. Wir greifen diesen Geist auf und entwickeln ihn bewusst inhaltlich weiter, um den Bedürfnissen und Gegebenheiten unseres heutigen Alltags gerecht zu werden. Hygiene und Sorgfalt nehmen dabei wie in vergangenen Zeiten eine zentrale Rolle ein und spiegeln den achtsamen Umgang mit Lebensmitteln wider, der sich auf jede Handlung im Kochprozess erstreckt. Besondere Beachtung schenken wir der Auswahl unserer Zutaten, insbesondere der Gewürze, die wir teilweise direkt aus unserem Klostergarten beziehen.
Unsere Küche ist somit ein Ort der kreativen Auseinandersetzung, an dem achtsames Kochen und gemeinsames Essen nicht nur zur Bedürfnisbefriedigung des Körpers beitragen, sondern zu einer intensiven Praxis des Augenblicks werden. Hier wird jeder Schnitt, jedes Rühren und Würzen zu einer Handlung der Gegenwärtigkeit – eine Form der Zen-Praxis, die sich über den Geschmack und die Gemeinschaft entfaltet. Die moderne Klosterküche ist damit nicht nur Versorgungsraum, sondern ein weiterer Weg, den lebendigen Buddhismus im Alltag zu erfahren.
Das Ziel des experimentellen Klosters ist es, diese lebendige Tradition in unsere heutige Lebensrealität zu übertragen. Indem wir Körperarbeit, kreative Künste und alltägliche Handlungen wie das Kochen in unsere Praxis einbinden, beleben wir die alten Formen neu und passen sie an die heutigen Bedürfnisse an. Dies ermöglicht uns, eine alltagsorientierte buddhistische Lebenskunst zu entwickeln, die sich nicht nur auf die formelle Meditation beschränkt, sondern das gesamte Leben umfasst.
Ein Experiment ist weder auf Erfolg noch auf Misserfolg ausgerichtet, sondern auf das Erforschen und Erleben. Ein „Experiment“ bedeutet, sich auf einen Weg zu begeben, dessen Ausgang offen ist, dessen Ziel nicht festgelegt ist und das von einem Geist der Neugier, des Lernens und des Nichtwissens getragen wird. Dieser Geist des Nichtwissens, den die alten Meister:innen verkörperten, steht im Mittelpunkt unserer Praxis. – eine Haltung, die uns einlädt, immer wieder zu beginnen und alles, was wir tun, als eine Übung in Gegenwärtigkeit und Verbundenheit zu sehen.
In unseren Angeboten üben wir gemeinsam eine „Ästhetik des Lebendigen“ – den bewussten, achtsamen Umgang mit den zehntausend Dingen des Lebens. Immer wieder erheben wir uns, lernen aus unseren Erfahrungen und gestalten unser Leben im Einklang mit dem gegenwärtigen Moment.
Für uns ist das Kloster ein lebendiger Raum, in dem wir die Weisheit des Zen-Buddhismus immer wieder neu erfahren und sie auf unterschiedliche Weise in den Alltag übertragen können. So wie die Mühle das Alte und das Neue in ihrer Architektur vereint, schafft auch das experimentelle Kloster eine Verbindung zwischen den überlieferten Zen-Praktiken und modernen Bedürfnissen. Jeder Aspekt des Alltags kann zur Praxis werden: ob es die körperliche Aktivität beim Bogenschießen ist, die kontemplative Arbeit im Garten oder das gemeinsame Kochen.
In diesem Sinne ist das experimentelle Kloster ein Ort des Forschens und des lebendigen Buddhismus, in dem jede:r eingeladen ist, die Ästhetik des Lebendigen zu erfahren und das eigene Leben als Weg der Praxis zu gestalten.
Dieser Blogbeitrag entstand, da uns die Redaktion der Buddhismus Aktuell nur 2000 Zeichen für das Thema erlaubte und wir mit der stark gekürzten Printversion eigentlich nicht einverstanden waren ….