Da das im letzten Beitrag vorgestellte Video sicherlich Geschmackssache ist (diese Art ‘Motivations-Training’ ist auch nicht so wirklich mein Ding …) heute mal einen vielleicht etwas vertrauenswürdiger daherkommenden Gewährsmann, der etwas zum Thema ‘spiritueller Materialismus’ zu sagen hat. Was ist nun ‘spiritueller Materialismus’? Wie man mir sagte, hat Chögyam Trungpa (der ungeachtet seines etwas zwielichtigen Rufes ein guter Freund Kobun-samas war) ein ganzes Buch zu diesem Thema veröffentlicht; eine umfangreiche Leseprobe findet sich hier. Um es etwas knapper zu formulieren: spiritueller Materialismus heisst – zumindest für mich – eine spirituelle Praxis mit einer Erwartungshaltung ausüben. Du tust etwas, um etwas dafür zu bekommen. Kodo Sawaki, mit dem Kobun-sama in seiner Studentenzeit saß, formulierte es hinsichtlich unserer Praxis kurz und bündig so: Zen ist für nichts gut.
Jedenfalls ist spiritueller Materialismus für Ausübende einer spirituellen Praxis ein nicht ganz unwichtiges Thema, ein Stolperstein auf dem Weg – an dem man auch vom Weg, den uns die Dharmavorfahr*innen des Zen gewiesen haben, schon ein Stück weit abkommen kann. Und “ein nicht ganz unwichtiges Thema” war es nicht nur in China, wo ein in der Sangha weit verbreiteter ‘spiritueller Materialismus’ einer der Auslöser der ‘fundamentalistischen’ Chan-Bewegung war, sondern das ist es auch im Westen, wo heute vieles als ‘Zen’ in Verbindung mit Erwartungshaltungen angeboten wird. Solche Angebote sind dann auch eher mit ‘Motivationstraining’ in Verbindung zu bringen als mein Gewährsmann, auf den ich nun endlich zu sprechen kommen will.
Es handelt sich um Baotang Wuzhu (714–774 n.d.Z.), einen Meister der in den heutigen ‘Ahnenlinien’ nicht auftaucht, da er der sog. ‘Lehre vom Ostberg’ zuzurechen ist – von manchen mit etwas abschätzigem Ton auch als ‘nördliche Schule’ bezeichnet. Wem dies nun Anlass zu Zweifeln an der oben versprochenen Vertrauenswürdigkeit ist, der sei an das bekannte Zitat eines Zeitgenossen von Wuzhu erinnert – und der findet sich nun gewiss in jeder Sōtō-Ahnenlinie:
Menschen unterscheiden zwischen Dummen und Klugen, doch auf dem wahren Weg gibt es keine Patriarchen des Südens oder des Nordens. Die Quelle der Lehre ist rein und ohne Makel – Bäche, die sich verzweigen, fließen in Dunkelheit.
(Shitou Xiqian / Sekito Kisen, 700–790 n.d.Z.)
Doch kommen wir zurück zum Thema und zu dem, was Baotang Wuzhu dazu zu sagen hat. Folgendes stammt aus einem Vortrag, den Wuzhu vor einer Versammlung von Laienanhängern hielt:
In der zum anderen Ufer geleitenden Weisheit Prajñāpāramitā sieht man weder den, der Freundlichkeit vergilt, noch den, der sie ausübt. Ich, Wuzhu, übe nicht-bedingtes Mitgefühl, übe wunschloses Mitgefühl, übe nicht-ergreifendes Mitgefühl und übe ursachenloses Mitgefühl. Es ist weder Dieses noch Jenes, ich übe nicht höchsten, mittleren oder niederen Dharma, übe keinen ‘bedingten und nicht-bedingten’ Dharma, keinen ‘wirklichen oder illusionären’ Dharma. Es ist nicht um des Wachsens oder Schwindens wegen, es gibt kein großes, gutes Geschick und kein kleines, gutes Geschick. Nichts empfangend empfängt man doch alles zu Empfangende. Im unvollständigen Buddhadharma gibt es auch kein Ende des Empfangens. ‘Wenn du bekennen und bereuen willst, sitze ordentlich und kontempliere die Charakteristik der Aktualität.’* Undenken ist da die Charakteristik der Aktualität, Denken ist da leere Täuschung. Bekennen und Bereuen und Gebete intonieren, all das ist leere Täuschung.
Überliefert wurden Wuzhus Lehren in der ‘Aufzeichnung der Übertragung des Dharmajuwels’ (T 2075.51.179a-196b), einem für die frühe Geschichte des Chan / Zen wichtigen Werk, das neben Vorträgen wie dem oben zitierten u.a. auch Dialoge mit anderen Meistern sowie mit Schülerinnen und Schülern enthält. Und nicht zuletzt auch ein wunderschönes Gedicht über Tee, das den heutigen Beitrag zusammen mit einem Bild von Yakushi Nyorai (dem ‘Medizinbuddha’) eröffnet – ein Gedicht, wo ich mich ‘Augenbraue an Augenbraue’ mit ihm finde.
Übersetzt ins Englische und mit einer umfangreichen Einführung versehen von: Adamek, Wendi Leigh. 2007. The Mystique of Transmission: On an Early Chan History and its Contexts. New York: Columbia University Press. Mit ein wenig Suchen lässt sich im Internet auch eine kostenfreie PDF-Version davon finden. Das mit * gekennzeichnete ‘Zitat im Zitat’ stammt aus dem ‘Sutra der Meditation über Samantabhadra’, einer Art ‘Anhang’ zum Lotossutra (T 9.277 – eine deutsche Übersetzung findet sich in: Das dreifache Sutra von der weißen Lotosblume des wunderbaren Dharma. Neu ins Deutsche übersetzt aus dem Koreanischen, Chinesischen, Sanskrit von Tenzin Tharchin Sunim und Elisabeth Lindmayer, HOLOS-Verlag: www.holos.at).