BEWUSSTSEIN ERWEITERN!

In der buddhistischen Psychologie (wenn ich das so generalisierend formulieren darf)​ ist das Bewusstsein eine reizverarbeitende Instanz. Keine feste Instanz, versteht sich, sondern eine in jedem Moment durch die sich ändernden empfangenen Reize definierte. Diese Reize stammen aus anderen Instanzen, für die das Gleiche gilt – sie sind die momentane Funktion ihrer Bedingungen. Diese Instanzen beschreibt das klassische buddhistische skandha-Modell. Wobei sich Zen-Praktizierende mit der Rezitation des Herzsutra immer wieder die Leerheit dieser skandhas ins Bewusstsein rufen. Doch die soll heute nicht das Thema sein.

Dieses Bewusstsein ist stets (und sich stetig wandelnder) Ausdruck seiner Bedingungen. Es fügt diesen Bedingungen allerdings eine erweiterte Dimension hinzu: die ‘entfaltete Vorstellung’ (prapañca​ im Sinne Nāgā​rjunas​)​, den Bereich der Kognition. Doch auch dieser Bereich ist gänzlich bedingt durch Rezeptivität (rūpa​), Sensibilität (vedanā​), Identifikation (samjñā​)​ und Intentionalität (samskāra​). Das bedeutet, jede Veränderung der das Bewusstsein bedingenden Instanzen verändert auch das Bewusstsein. Hier haben wir übrigens die so gerne erwähnte Parallele buddhistischen Denkens (mehr als das – eine parallele Denkfigur – ist es wohl nicht) zur Heisenbergschen Unschärferelation, wenn man den ‘Beobachter’ und ​die ‘Beobachtung’ als das Bewusstsein einerseits und seine Bedingungen (die als einziges beobachtbar sind) andererseits versteht.

Wie sollte sich ein solches Bewusstsein “erweitern” können? Wohin und auf auf wessen Kosten? Seine einzige Quelle sind die vier oben genannten ‘vorgeschalteten’ Instanzen; eine andere Quelle lässt sich nicht finden. Schon gar nicht durch die Kognition – die liefert nur Imagination im wörtlichen Sinn: Einbildung.

Eine Veränderung des Bewusstseins hingegen ist nicht nur möglich, es ist vielmehr der Normalfall bzw. findet ständig statt. Was das Bewusstsein immerhin tun kann: es kann auf seine Bedingungen  rückwirken, sie aktiv verändern. Um es mit einem konkreten Beispiel zu illustrieren: ein Bewusstsein mit der Wahrnehmung ‘Hunger’ wird sich durch den körperlichen Empfang von Nahrung in Form von Brot vorübergehend zu einem Bewusstsein ohne Hunger wandeln. Ein Bewusstsein mit der Wahrnehmung ‘Kopfschmerz’ wird sich durch den körperlichen Empfang von Nahrung in Form einer Dosis Aspirin vorübergehend zu einem Bewusstsein (hoffentlich) ohne Kopfschmerz wandeln. Generell ist dieses Rückwirken auf die Bedingungen des Bewusstseins auch der Kern jeder spirituellen Übung.

Wenn die ‘Nahrung’ (ich verweise zum Begriff Nahrung / āhāra ausdrücklich auf den Abschnitt zur 5. Kai hier) nun eine psychedelische Substanz ist, ist das grundsätzlich nichts anderes. Man ändert sein Bewusstsein – wenn auch bei hinreichender Dosis auf recht dramatische (deswegen auch nachhaltige) und potentiell gefährliche Weise. Allerdings weiss man heute, dass diese Substanzen (oder doch zumindest einige davon) auch ein nachgewiesenes großes therapeutisches Potential haben, was dieser Artikel der Pharmazeutischen Zeitung auch für ein Laienpublikum gut verständlich beschreibt. Da beginnt dann auch der Unterschied zwischen Droge i.S.v. ‘unheilsame Substanz’ und Droge i.S.v. ‘heilsamer Arznei’ zu schwinden. “Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist” sagte Paracelsus.

Es gilt also nicht, bei Drogen zwischen guten und schlechten zu unterscheiden, sondern zwischen Usus und Abusus, Ge- und Mißbrauch. Kriterium dafür ist einzig ihre Heilsamkeit. Ein denkbarer heilsamer Nutzen einer psychedelischen  Droge könnte durchaus auch sein, das so scheinbar festgefügte Gerüst der ‘entfalteten Vorstellung’, das wir gerne mit Realität verwechseln, zeitweise aufzubrechen und damit eine nachhaltig heilsame (was heisst: erschütternde) Wirkung auf die Egozentrizität des Bewusstseins – gemäß buddhistischer Lehre eine zentrale Bedingung des Seinsmerkmals ‘Leidhaftigkeit’ (duḥkha) – auszulösen, indem die Bedingtheit aller Vorstellungen dieses Bewusstseins – nicht zuletzt der, die es von sich selbst hegt – ein Stück weit bewusst wird, ‘ins Bewusstsein tritt’.

Die Heilsamkeit hängt allerdings davon ab, wie diese Erfahrung verarbeitet wird und darin steckt natürlich auch ein Risikopotential. Daher auch die Bedeutung von Nebenbedingungen – Leary’s ‘set’ und ‘setting’, mit denen sich das Risikopotential verringern lässt. Rituelle settings sind seit Jahrtausenden bewährt – wobei sich allerdings die Frage stellt, ob mindset und setting aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten hinreichend harmonieren. Es bedarf dazu innerer Bereitschaft und Offenheit/Aufgeschlossenheit gegenüber der ‘Kategorie des Fremden’ – bloßes Kopieren einer Peyote- oder Ayahuasca-Zeremonie reicht da nicht. Das in Hinsicht Heilsamkeit sicherste setting ist zweifellos die klinische Kontrolle. Was allerdings auch auf einen potentiellen Schwachpunkt dieses settings hinweist: den Kontrolleur und seine Intentionen. Das heisst, Voraussetzung ist (wie in rituellen settings auch) Vertrauen. Damit sollte – so oder so – grundsätzlich nicht allzu freigiebig (aber auch nicht allzu knauserig) umgegangen werden.

Um auf den Punkt ‘Bewusstseinserweiterung’ zurück zu kommen: Psychedelika leisten das nicht. Der Zenpriester Brad Warner hat einmal sinngemäß gesagt: Drogen zeigen dir nur, wie es ist, auf Droge zu sein. Recht hat er, sonst ist da nichts weiter. Allerdings – was ist nicht Droge? Droge ist Nahrung, Nahrung ist Droge und auf dieser Droge sind wir, so lange wir leben. Unser Problem ist nicht ob, sondern wie wir damit umgehen.

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