Mitte April fand in der Mühle ein eher aussergewöhnliches Sesshin statt: Unter dem Arbeitstitel Tenzo Training zog HoKai zu besagtem Anlass einen seiner besten Pfeile aus dem Köcher: Sein erwiesenermassen bester Tenzo, Roland KyuHi Rauter, hochdekorierter veganer Sternekoch der ersten Stunde, Bestsellerautor sowie jahrelang erprobte Sitzkraft, solle aus ein paar verlorenen aber durchaus motivierten Fukutens (KüchenhelferInnen) ein strammes Heer an kleinen Tenzos formen. Oder sagen wir vielleicht lieber: Kleine Tenzinis. Schon bei Ankunft fühlte ich mich wie es in der Bibel steht: Neben Küchengott Roland wie der lehmige Erdenkloss, der darauf wartet, den kochhimmlischen Lebensatem eingehaucht zu kriegen.
Ich hatte mich wie alle andern TeilnehmerInnen vorgehend dazu bereit erklärt, in Zukunft das ein oder andere Mal in die in unserer Tradition ehrwürdige Rolle des Tenzos, der Küchenchefin bzw. des Küchenchefs, zu schlüpfen. Seit Pia und HoKai die Mühle übernommen haben, ist die Devise ja klar: Die Tradition der hauseigenen Küche und somit des Tenzos soll in der verjüngten Philosophie des Hauses Einzug halten. Wer anderes denn der Sangha, als vereintes Ganzes, sollte diese altehrwürdige Aufgabe übernehmen? Auf diesen Ruf der im neuen Gewand frühlingshaft erblühenden Mühle fanden sich auf Anhieb zwölf freie und somit mutige Geister ein, die ihre Lektüre Dōgen Zenjis in die Praxis umzusetzen gedachten.
In seinen berühmten Anweisungen zur Tätigkeit des Kochens im Zen, Tenzo Kyokun, schreibt Dōgen, die Aufgabe des Tenzos sei es, den Sangha zu bedienen, wobei es, so präzisiert er, bei solch lebendiger Arbeitsmethode notwendig sei, sie mit ganzem Herzen umzusetzen. Ich glaube, man kann das „be“ auch gleich weglassen, und sagen: Die Arbeit des Tenzos ist es, von Herzen zu dienen. Im Allgemeinen bedeutet uns dies letztendlich: Im Zen ist die Arbeit des Kochens selbst eine Buddha-Aktivität. Im Spezifischen und für mich persönlich bedeutete dies aber zuerst einmal: Mit der Ehre kommt die Bürde.
Den Druck setzte ich mir gleich von vornherein selbst auf: Kann ich das, für fünfzehn Leute kochen? Vor allem: Kann ich das, für fünfzehn Leute gutkochen? Was, wenn ich es vermassle? Wenn etwas anbrennt? Wenn ich unter Zeitdruck komme? Wenn ich es versalze? Wenn es nicht schmeckt?
Es war wunderbar, wie Roland diese hungrigen Geister in meinem Kopf schon bei der Begrüssung mit seinem unvergleichlichen Österreichischen Akzent in die naheliegenden Wälder jagte: „Ihr könnts nix falsch machn“, sagte er schon eingangs, „wenn ihr euch Mühe gebt, dann schmeckts.“
Und wie es geklappt hat!
Am Ende einer solchen Geschmacksreise ist man, ganz in der Manier des Foodblogging, geneigt, minutiös all die kreierten Leckereien aufzuzählen, um bei der Leserschaft das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen – und ein bisschen die Werbetrommel für die neue Mühleküche zu schwingen, klar doch. Und natürlich bin auch ich nicht von dieser digitalen Unsitte gefeit. Also los! Geblieben sind mir von den unzähligen zubereiteten Gerichten: das Süss-Säuerliche des Kohlstrudels; die Kombination der in Reispapier gewickelten Frühlingsrollen mit allerlei Dips, in die dicke salzige Soja-Sauce getunkt; die nicht mehr ganz so leichte Schärfe des herzhaften Curries (die Tränen liefen), das selbst gemachte Naan; die Linsenburger; der Randensalat an Pfefferminze und Sanddornessig; die mit Buchweizen gefüllten Kohlrabi und Peperoni im Passatabett; der Couscous-Karotten-Salat an Safran-Sauce; der Kichererbsen-Eintopf.
Aber darum geht’s ja eigentlich gar nicht. Mit Roland an der Seite ist es so oder so ein Leichtes, die an sich schon schmackhaften Zutaten zu einem Reigen der Sinne zu verquicken. Im Sinne Dōgen’s geht es aber eben gar nicht nur um das leckere Essen. Auch nicht nur ums Kochen. Der Geschmack der zubereiteten Speisen ist in diesem Fall nur ein spezieller Fall vom Allgemeinen. Das Allgemeine aber ist es, auf was sich die Aufgabe des Tenzos bezieht. Kosho Uchiyama Roshi, ein Schüler Kodo Sawakis, sagte über das Tenzo Kyokun, es sei das Buch, das uns lehrte, wie wir unser gesamtes Leben mithilfe von Zazen kochen sollen.
Der spannende, und wie ich finde, viel wichtigere Teil, waren während des Kochens die eigentlich so gar nicht nach Zen anmutenden Momente: Zwölf verlorene Möchtegern-Tenzos hetzen kreuz und queer und wild durcheinander in der dafür viel zu kleinen Küche umher, stehen sich dabei permanent gegenseitig auf die Füsse, nehmen dem Andern den Platz weg, verlegen unauffindbar die Küchenutensilien, sind gestresst und natürlich maximal laut, „ich brauch den Sparschäler, wo ist die Schere, wer hat die Waage, hat es keine freie Pfanne mehr?“ In diesen Momenten maximaler Möglichkeit für Reibung und Konfliktsituationen ist mir erneut klar geworden, was Dōgen meinte, als er schrieb, die Arbeit des Kochs sei selbst Buddha-Aktivität. Selten gab es so viele Chancen an einem Tag, die Theorie in gelebte Praxis zu übersetzen: Umsichtig sein, dem Gegenüber den Vortritt lassen, kleine Arbeiten von andern übernehmen, einen Gang zurückschalten, sich selbst beim Überborden zuschauen und dann gelassen die Bremse ziehen, leiser sein, weniger wollen und mehr geben.
Mit diesem Vorsatz der gelebten Praxis wurde das gemeinsame Kochen ein Erlebnis des gegenseitigen Respekts, des Raumlassens, der angewandten Ethik.
„Tag und Nacht, was immer euch begegnet, ist euer Leben“, heisst es im Tenzo Kyokun, „daher sollt ihr euer Leben der Situation anpassen, der ihr im Augenblick begegnet.“ Wie wunderbar war es dann jeweils nach all dem Küchentrubel, in Stille gemeinsam die Köstlichkeiten zu probieren, sich auf den Geschmack und die Konsistenz allein konzentrierend! Und wie andächtig das gemeinsame Sitzen danach, erholsam und nervenaufreibend zugleich! Der gemeinsam geleistete Aufwand führte zu einer herzhaften Verbundenheit. Als ich nach getaner Arbeit wieder auf dem Kissen sass, wurde mir wieder einmal bewusst, welches Privileg es ist, ab und zu Zazen üben zu dürfen.
Ich glaube, am Sonntag Mittag kochten wir schliesslich so viele verschiedene Gerichte, dass die zu uns gestossene Gruppe um GenKi und KyuSei gar nicht alles probieren konnte – danach war für die meisten von ihnen Yoga angesagt, und dafür durfte der Bauch nicht so voll sein, wie das der Gaumen wohl gewünscht hätte. Wir angehenden Tenzinis liessen uns davon aber nicht abbringen und es uns gut schmecken.
In Anbetracht des Gelernten kamen natürlich Wünsche nach einer Wiederholung des Kurses auf. Der stets in Höchstform performierende Roland wurde mit allerlei Ideen bombardiert. Vielleicht einen Kurs mit Fokus auf Asiatisch? Backen? Japanisch? Indisch? Eins ist klar: Der runde Bauch und der klare Geist würden sich freuen.
An dieser Stelle bleibt es, dem wahren Tenzo-Genie Rolands zu huldigen. Mit seiner unnachahmlichen Art wusste er uns zusätzlich zu motivieren, sprach uns immer wieder Mut zur Improvisation zu. „Kocht so“, so eine seiner lebensechten Weisheiten, „wie ihr immer für euch selbst kocht.“ Ist das nicht dasselbe, was Dōgen meinte, als er schrieb: „Der einzig mögliche Weg des Lebens heisst, sein eigenes Leben bis zum Ende zu leben. Ein törichter Mensch betrachtet sein eigenes Leben, als wäre es das irgendeines andern. Ein wissender Mensch hingegen versteht, dass jedes Ding und alle, die einem begegnen, das eigene Leben sind.“ Sogar den so unsexy daherkommenden Theorieteil zu Hygienestandards, Kochmengen, Entsorgung und allgemeiner Organisation wusste Roland geschickt als lebensnahe Dringlichkeit, also als essenziellen Teil übender Praxis zu verkaufen. Ein wahres Erlebnis dieser gute Mann!
Die Zukunft betreffend, schrieb Dōgen im Tenzo Kyokun: „Die Menschen, die in Zukunft Zen üben, sollten in allen den verschiedenen Schriftwerken das entdecken, was diese uns lehren. Nämlich: diese Seite von jener und jene von dieser Seite zu sehen. Das heisst: Zen ist ein einziges tiefes Leben.“
Gutes und nach bestmöglichem Verständnis zubereitetes Essen ist ein wichtiger Teil dieses einzigen, tiefen Lebens. Schön zu wissen, dass sich unsere Praxis in dieser Art in der Mühle verwirklichen wird.
Gassho Anestis SaiHo
Ein wundervoll poetischer, nährender, beinahe erleuchteter Bericht von einem, der schreiben, kochen (lernen) und sich selbst vergessen kann 😎. Vielen Dank dafür und an alle, die beteiligt waren. Ich freue mich schon aufs Essen beim nächsten Sesshin.
Danke Anestis SaiHo, habe mich sehr gefreut deinen Beitrag zu lesen.
Ja es war ein wunderbares Koch-Sesshin.
Danke Roland Tenzo-Genie, es war mir ein Volksfest, wie du jeweils zu sagen pflegtest.