Manifestation der Verbundenheit
Was ist ein heiliger Raum? Was macht ihn aus? Was war der Raum vorher, hat er ein Ende oder wird ein Raum so geboren? Können wir heilige Räume machen, öffnen, schließen, woran erkennen wir überhaupt die Verwandlung von scheinbar Profanem zum scheinbaren Heiligen? Und vor allem: Was hat Heiligkeit in einem Zen-Tempel zu suchen?
Beinahe drei Jahre nach der spirituellen Übergabe der Altbäckersmühle von Kyusei und GenKi Österle an HoKai Österle manifestiert sich mit der Eröffnung des Nyu-Shin-Do-Tempel, Sanfter Herz-Geist Tempel, im Juni 2023 das Neue, verwoben mit dem, was bis dahin manifestiert war. Erneut übernimmt also ein Ehepaar, HoKai und Pia Österle, die Leitung der Altbäckersmühle und gestaltet, sich in die Tradition einreihend, Raum und Geschicke. So wird der alte, weiterhin genutzte Dojo im Erdgeschoss durch einen ZenDo unter dem geräumigen Mühlendach ergänzt, aus dem von KyuSei und GenKi privat bewohnten Haus wurde ein offener Raum, das ehemalige Wohnzimmer ist jetzt der Speisesaal, aus Kinder, Schlaf- und Arbeitszimmer gestaltete sich der Zen-Do unter dem Dach. Geblieben ist die Linie des Herz basierten Zen, sie bildet die tragfähige Grundlage für das was war, ist und kommen mag.
Nichts von heilig, weiter Raum
Zeuge oder Zeugin einer ZenDo-Einweihung zu sein, der Eröffnung eines spirituellen Ortes, ist ein besonderes Glück – die wenigsten von uns haben damit Erfahrung, Kirchen werden heute ja eher geschlossen als neu gegründet. In der Altbäckersmühle durften am 18. Juni 2023 dreißig Menschen Teil einer solchen in vielerlei Hinsicht bewegenden Zeremonie sein. Das neue ZenDo wurde feierlich eingeweiht – die Altar-Kerze brannte erstmalig, es regnete Weisheitswasser aus dem Hasenbach, das mittels Tannenzweiges aus dem Wald großzügig ausgebracht wurde, der Sangha saß eine Runde vertrautes Zazen im unvertrauten Raum, der Buddha-Statue wurden feierlich die Augen geöffnet, der Klang der von HoKai geschlagenen Trommel, verbunden mit der von Pia erstaunlich nach japanischer Shakuhachi klingenden Querflöte berührte, erfreute und besänftigte Herzen und das dreimalige Chanten des Maka Hannya zum Abschluss klang weit ins Tal.
Im Fluss der Zeit: Worte der Älteren
Und natürlich gab es ebenso weise wie berührende Eröffnungsworte – überschrieben mit „Worte der Älteren“ sprach zunächst Bruder David Steindl-Rast, weltweit interreligiös wirkender Benediktiner-Mönch & Autor, Mit-Gründer der Stiftung Felsentor und vom Haus der Stille in Puregg, Lehrer und Freund von Vanja Palmers. Ihm war es trotz seiner hochbetagten 97 Jahren und einer 6-stündigen Anreise aus der Schweiz ein Anliegen, der Einladung zur Zeremonie zu folgen und diese auf HoKais Bitte zu eröffnen. Bruder Davids Worte waren kristallklar, freundlich-weise, voller lebendiger Kraft. Drei Aspekte waren ihm wichtig zu erwähnen, die in einem Dojo Platz haben sollten: Zunächst sei dieser ein Ort der Übung, der Erinnerung, uns immer wieder im Moment des gegenwärtigen Augenblicks einzufinden. Die Übung, obwohl ausschließlich im Inneren getan und erfahren, sei segensreich, weil sie in Gemeinschaft stattfinde. Darin klingt der zweite ihm wesentliche Aspekt, Verbundenheit mit allen Wesen zu üben, schon an. Beginnend in der gemeinsamen Übung, hin zu allen Wesen bis ins Universum reichend, sei diese Ausrichtung in unserer Welt aktuell besonders wichtig, vielleicht sogar überlebenswichtig. Und drittens würde weder Übung noch Verbundenheit hilfreich sein, wenn wir das im Dojo Geübte und Erfahrene nicht mitnähmen in die Welt, in unseren Alltag mit all den ebenso angenehmen wie unliebsamen Begegnungen. Dabei gehe es nicht um große Gesten der Taten, sondern um einfache Freundlichkeit in den Alltagsbegegnungen, um ein kleines Lächeln, ein offenes Herz, egal mit wem und wo. Bruder David teilte seine klare, liebevolle Präsenz und tiefe Weisheit so bescheiden wie großzügig – unvergesslich und weit über den Raum hinaus reichend.
Sanfter Herz-Geist Tempel: In der Linie der Herzensöffnung
Als Nächstältere sprachen KyuSei, Gründer, und GenKi Österle, Gründerin der Altbäckersmühle vor mehr als 40 Jahren, spirituelle Lehrer bzw. Lehrerin der Sangha und Eltern/ Schwiegereltern von HoKai und Pia, den ihnen Nachfolgenden. KyuSei zeichnete eine bewegt-bewegende Linie der eigenen Entwicklung von einer über viele Jahre geübten strengen Zen-Linie hin zur Begegnung mit Kobun Chino Roshi und der damit erstmalig erfahrenen, Zen verbundenen Herzöffnung. So habe sie der Name, Nyu-Shin-Do – Sanfter Herz-Geist Tempel, beim erstmaligen Hören tief berührt. Es erfülle beide mit großer Freude, die Tradition des offenen Herzens, der freundlichen Annahme der Menschen mit allem, was sie mitbrächte, fortgeführt zu wissen. Den bewegenden Worten KyuSeis folgte GenKi – wortlos stand sie auf, umarmte HoKai und Pia von Herz zu Herz, ohne Zwischenraum; auch KyuSei, offensichtlich berührt, folgte diesem Impuls der direkten Herzumarmung. Der anschließende spirituelle und elterliche Segen für HoKai und Pia war eine spürbar wahre, wohlwollende und authentische Geste liebevoller Güte.
Die Augenöffnung des Buddha
Die Zeremonie einer Tempel-Eröffnung folgt, wie wir hörten ebenso festen wie freien Regeln – Vanja Palmers, spiritueller Freund und Lehrer aus dem Felsentor, brachte zwei Gaben spiritueller Natur: ein Ritual und ein gewichtiges Stück Holz. Das Ritual, der Buddha-Statue mit einem Pinsel die Augen zu öffnen, gab der Zeremonie einen beinahe magischen, der Tradition verbundenen Rahmen. Nichts von heilig…die Atmosphäre dieser zeitlich betrachtet eher kleinen Handlung war ebenso intensiv wie weit, ein Ritual von einfacher Schönheit , in jedem Fall das Geschenk eines Zen-Meisters.
Die zweite Gabe Vanjas hatte in jeder Hinsicht Gewicht und Geschichte: vor 45 Jahren kalligraphierte Kobun Chino Roshi in Jikoji einen Tempelnamen, Samadhi-Halle, verbunden mit dem Auftrag, diesen in ein Tempelbrett zu schnitzen. Wo diese Halle sein und wer darin praktizieren sollte, blieb damals offen. Vor etwa zwei Jahren erhielt Vanja diese Kalligraphie und den ausdrücklich formulierten Schnitz-Auftrag, während etwa zeitgleich die Veranda im Felsentor erneuert werden musste – so fielen geeignete Tempel-Bretter zwar nicht vom Himmel, aber aus der morschen Veranda in die richtigen Hände. Vanja führte mit einer kleinen Verzögerung von 45 Jahren Kobuns Auftrag aus und brachte den dritten Namen, San Mai Do Samadhi-Tempel, von Kobun Chino kalligraphiert und von Vanja eigenhändig geschnitzt, samt Tempel-Brett als gewichtiges Geschenk, mit zur Eröffnung.
Die drei Namen eines Tempels
Nachdem der „Jüngste der Älteren“, Vanja, gesprochen hatte, war HoKai, der Älteste der Jüngeren, an der Reihe und erzählte die Geschichte der drei Namen, die traditionell zu jedem Tempel gehören: den ersten, Nyu-Shin-Do oder Sanfter Herz-Geist Tempel, erhielt HoKai vor mehr als 15 Jahren von Zen-Meister Reb TenShin Anderson, mit dem er einige Jahre praktizierte. Dieser war damals der Meinung, es wäre für HoKai an der Zeit, ein eigenes Dojo zu gründen und dies sollte der Name sein – es sollte noch etwas dauern damit. Der zweite Tempel-Name ist traditionell eher eine Ortsbezeichnung, gewählt nach dem Berg, an dem er liegt, in diesem Fall ist es der Stoppelberg-Tempel. Der dritte Name, San Mai Do, Samadhi-Halle, ist, wie oben beschrieben, ein scheinbar verspätetes (was immer das heißen mag) Geschenk seines Dharma-Großvaters Kobun Chino Roshi.
Auch die Buddha-Statue, ein Geschenk von HoKais damaliger Hamburg-Sangha zum 40sten Geburtstag – vor ziemlich genau 20 Jahren musste lange warten und verschiedene, nicht passende Plätze einnehmen, bis sie in Verbindung mit den Tempelnamen von Reb TenShin Anderson auf dem Altar des neuen Zen-Do mit nun geöffneten Augen ankommen konnte.
Wie vorher GenKi wollte auch Pia HoKais Ausführungen keine weiteren Worte hinzufügen – sie leitete humorvoll-pragmatisch zu einem eher Zen-ungewöhnlichen Programmpunkt über: sie und HoKai entlockten in frei improvisiertem Spiel Flöte und Schamanentrommel sanfte, klare, freudige und einfach schöne Klänge für Ohren und Herz.
Vertrauen & Dankbarkeit: Die Worte aus der Sangha
Was anschließend folgte, entzieht sich, wie eigentlich alles in dieser Zeremonie, konkreter Beschreibung – HoKai und Pia luden alle Anwesenden ein, mit Räucherwerk, in Stille oder verbunden mit Gesprochenem, gute Wünsche zu offerieren. Bei jedem einzelnen Offering war sichtbar und fühlbar, wie sehr der Ort der Altbäckersmühle durch die dort wirkenden Menschen seit mehr als 40 Jahren ein echter Zufluchtsort ist, in dem Buddha, Dharma und Sangha lebendig waren und sind. Fast alle sprachen über die liebevolle Annahme, die Akzeptanz, die Herzlichkeit, mit denen sie von KyuSei und GenKi empfangen und nicht nur auf ihrem spirituellen Weg begleitet wurden. Viele fühlen sich der Mühle als Ort spiritueller Heimat verbunden, beschrieben das Knirschen des Kieses auf dem Weg als vertrauten Willkommensgruß, den Weg hinunter ins Hasenbachtal als Weg nach Hause. In jeder Äußerung wurde spürbar: die Mühle als Mühle, der Hasenbach als Hasenbach – nichts davon ist wertvoll oder wirksam ohne die Menschen, die ihm durch ihr mitfühlendes und großzügiges Sein Leben einhauchen.
Mit dem dreifach rezitierten Maka Hannya endete die Zeremonie als in alle Richtungen hörbarer Schlusspunkt. Wie passend, dass danach köstliches Mittagessen und Berge mitgebrachter Kuchen den ebenfalls neuen Speisesaal seiner Bestimmung zuführte.
Rund war diese Feier, stark in der Erfahrung, verbindend im gemeinsamen Hören und Sein – vielen Dank an Bruder David, Vanja und Othmar, die den weiten Weg aus der Schweiz auf sich nahmen, an KyuSei und GenKi, die ihren Segen mitbrachten, an HoKai und Pia, die der Phönix-Wolken-Sangha einen würdigen und lebendigen Ort und ihre Begleitung schenken und an alle Beteiligten, die eine Zeremonie wie diese ermöglicht haben. Ohne Lehrer:innen, die den traditionellen Raum öffnen und halten und ohne eine Sangha, die den Ort der Übung belebt, ohne gemeinsames Tun und Erfahren, ohne offene Ohren und Herzen kann kein noch so schöner Ort, kein Tempel dieser Welt in die Welt und darüber hinaus strahlen.
P.S. Ein Dojo bezeichnet traditionell einen Ort verschiedener spiritueller Übung, ein ZenDo ist innerhalb eines Klosters der Ort, an dem ausschließlich ZaZen geübt wird.
wunderbar beschrieben herzlichen Dank! GenKi
Wie schön, liebe GenKi, dass er dir gefällt, das freut mich sehr; es war ein sehr besonderes Miteinander Sein.