In Kürze findet auf der Mühle (mit einem Corona-Jahr Verspätung) eine Jukai-Zeremonie statt, in der die Bodhisattva-Gelöbnisse in der Dōgen Zenji folgenden Form empfangen und gegeben werden. Es ist einem solchen Anlass angemessen, den Ort, an dem dieser Passageritus stattfindet, in besonderer Weise zu gestalten – zumindest, um genügend Raum für die Gäste zu bieten, die als Vertreter aller Wesen diesen Schritt auf dem Weg bezeugen.
Diesen besonderen Schnittpunkt in Raum und Zeit, an dem die Bodhisattva-Gelübde ausgesprochen werden, nennt man in China 道場 (daochang) – wörtlich ‘Ort des Weges’. Der Sanskritbegriff, den man so übersetzt hat, macht noch etwas deutlicher, worum es geht: bodhimaṇḍa oder bodhimaṇḍala ist ‘der Ort des Erwachens’. Im Japanischen wird 道場 übrigens ‘dōjō‘ ausgesprochen – eine Art Sporthalle ist damit jedenfalls nicht gemeint.
Ursprünglich hatte bodhimaṇḍa, ‘Ort des Erwachens’, eine sehr spezielle Bedeutung. Es bezog sich auf den Sitz aus Gras unter dem Feigenbaum, auf dem Buddha Ṥakyamuni erwachte. Dann weitete sich die Bedeutung aus auf alle Orte, an denen der Dharma geübt wird, bevor es in China schließlich üblich wurde, diese Bezeichnung insbesondere auch für den Ort der Bodhisattva-Ordination zu verwenden.
Dieser Ort ist nicht nur ein Ort im Raum, es ist auch ein Ort im Geist. Berühmt sind die Worte, mit denen der ‘große Laie’ Vimalakīrti den Bodhisattva Prabhavyūha über den ‘Ort des Erwachens’ belehrt. Die Passage ist etwas zu lang, sie hier vollständig zu zitieren, so dass ich gleich an ihr Ende springe:
“Fühlende Wesen sind der Ort des Erwachens, wegen des Verstehens von Nicht-Selbst. Alle Erscheinungen [dharmas] sind der Ort des Erwachens, wegen des Verstehens der Leere der Erscheinungen. Unterwerfung der Māras [‘Versucher’] ist der Ort des Erwachens, wegen der Nichtbeeinflussung [durch sie]. Die dreifache Welt [der Begierden, der reinen Formen und Formfreiheit] ist der Ort des Erwachens wegen der Abwesenheit von Bindungen [an sie]. […] Alle Erscheinungen in einem einzigen Gedankenmoment zu verstehen ist der Ort des Erwachens wegen der Erlangung vollständigen Wissens.”
(Vimalakīrti Nirdeśa Sūtra T.14 543a)
Ich beschränke mich hier auf diesen kurzen Ausschnitt, weil ich heute eigentlich vorstellen möchte, wie der in diesem Blog schon früher zitierte Baotang Wuzhu dieses Thema behandelt. Sicher nicht ohne Kenntnis des Vimalakīrti Nirdeśa und in Anknüpfung daran:
“Betrachte den direkten Geist als Ort des Erwachens. Betrachte das Streben nach Übung als Ort des Erwachens. Betrachte den tiefgründigen Geist als Ort des Erwachens. Betrachte das Unbefleckte als Ort des Erwachens. Betrachte Nicht-Ergreifen als Ort des Erwachens. Betrachte Nicht-Zurückweisen als Ort des Erwachens.”
Bevor ich mit dem Zitat fortfahre, erlaube ich mir, kurz auf einen anderen Blogartikel zu verweisen, insbesondere auf das dort vorgestellte Konzept der upāya, der ‘geschickten Mittel’ – denn eben zu solchen ‘geschickten Mitteln’ gibt Wuzhu nun Hinweise:
“Betrachte Ruhe [‘Nicht-Handeln’] als geschicktes Mittel. Betrachte Fülle als geschicktes Mittel. Betrachte Gleichmut als geschicktes Mittel. Betrachte das Übersteigen von Merkmalen [einzelner dharmas / Erscheinungen] als das Feuer und betrachte die Befreiung als das [darin verbrannte] Räucherwerk.”
Die “Merkmale” oder ‘Zeichen’ (nimitta), die es zu übersteigen / transzendieren gilt, sind die Objekte sinnlicher Wahrnehmung, die durch Ergreifen eine scheinbare Wirklichkeit erzeugen – shōji, Leben-und-Tod. Doch zurück zu Wuzhu, der schließlich auch auf den konkreten Ort eingeht, an dem, nach Rezitation der ‘Reueformel’, des sange mon, die Gelöbnisse empfangen und gegeben werden:
“Betrachte Nicht-Behinderung als Reue. Betrachte Nicht-Denken als die Gelöbnisse, Nicht-Handeln und Nichts-zu-Erreichen als Meditation und Nondualität als Weisheit. Betrachte nicht die konstruierte rituelle Arena als Ort des Erwachens.”
Es ist recht interessant, sich den ‘weltlichen’ Hintergrund einer solchen Aussage bewusst zu machen. Im (häufig in verschiedene politische Teile zerfallenen) China stand der über Zentralasien ‘importierte’ Buddhismus mit dem einheimischen Konfuzianismus und Daoismus in Konkurrenz um die Gunst und Unterstützung politischer Eliten. Was auch gelegentlich zu religiösen Verfolgungen führen konnte. Chinesische Buddhisten entwickelten ein ausgefeiltes System von Theorien über Bodhisattva-Ordination im Allgemeinen und Laienordination im Speziellen, das in einer Doktrin gipfelte, die die Akzeptanz höchster Kreise fand: die Doktrin vom ‘Weltenherrscher’ (cakravartin) als hohem Bodhisattva. Wobei man sich – explizit insbesondere Wu, der Begründer der Liang-Dynastie – auf das historische Beispiel Aśokas bezog, Herrscher des indischen Großreiches der Maurya.
Das war eine Doktrin, die hinsichtlich politischer Nützlichkeit mit der ‘klassischen’ vom ‘Sohn des Himmels’ konkurrieren konnte. Was dann in Folge von Protektion durch höchste Stellen in den gehobeneren Gesellschaftsschichten einen regelrechten ‘run’ auf die Bodhisattva-Ordination auslöste. Um dem Andrang gerecht zu werden, richtete man eigens ‘Ordinationsplattformen’ ein, die den Namen ‘Ort des Erwachens trugen’. Eine solche ‘Plattform’ meint Wuzhu, wenn er von der “konstruierten rituellen Arena” spricht.
Es ist wohl verständlich, dass der etablierte buddhistische Klerus solche Sprüche nicht gerne hörte, weil sie ein ‘Erfolgsmodell’ gefährdeten. Der zweite Dharmavorfahr des Zen, Huike, wie auch der dritte Dharmavorfahr Sengcan sollen als Wahnsinnige getarnt auf den Marktplätzen gepredigt haben. Von Huike wird gar erzählt, er sei aufgrund einer von eifersüchtigen ‘Konkurrenten’ angezettelten Intrige hingerichtet worden. Es erinnert an das Paradigma der (im doppelten Sinn) legendären Begegnung Bodhidharmas mit dem oben schon genannten Kaiser Wu. “Kein Verdienst”. Das, worum es geht, kannst du nicht kaufen und schon gar nicht erobern.
Anschließend warnt Wuzhu davor, die ‘geschickten Mittel’ misszuverstehen – zu übersehen, dass diese lediglich Provisorien, ‘vorläufig’ sind:
“Alle Wesen sind von Grund auf rein und von Grund auf vollständig und können weder vergrößert noch verkleinert werden. Wenn man zulässt, dass ein Gedanke den Geist verunreinigt, wird man in den Drei Welten die verschiedenen Arten von [formhaften und formfreien] Körpern annehmen. Vorläufig weisen die “Guten Freunde” [Wegbegleiter und Dharma-Lehrer] direkt auf die grundlegende Natur hin. Die [eigene] Natur zu sehen, ist also der Weg, ein Buddha zu werden und das Anhaften an Merkmalen ist somit das Versinken in den Kreislauf [von Geburt und Tod]. Weil die Wesen Gedanken haben, lehrt man vorläufig den Nicht-Gedanken, aber wenn es keine Anwesenheit von Gedanken gibt, dann ist [auch] der Nicht-Gedanke selbst nicht. Den Geist der Drei Welten auslöschen, aber nicht in der Stille verweilen, ‘nicht in Merkmalen verweilen, aber nicht ohne Wirksamkeit.’ Sich einfach von der leeren Verblendung zu trennen, wird Befreiung genannt.
Der Vollständigkeit halber: Wuzhu zitiert hier wie auch im gleich folgenden Abschnitt das Vajrasamādhi Sūtra. Interessanter als ‘Wirksamkeit ohne Anhaftung’ (zweifellos keine einfache Übung und Kern des ‘Bodhisattva-Gedankens’) scheint mir jedoch vorläufig dies hier: “Die eigene Natur zu sehen, ist also der Weg, ein Buddha zu werden und das Anhaften an Merkmalen ist somit das Versinken in den Kreislauf von Geburt und Tod.” Ich finde es passend, dieser Aussage eine andere, etwa ein halbes Jahrtausend jüngere an die Seite zu stellen:
“Den Buddha-Weg erforschen heisst das Selbst erforschen. Das Selbst erforschen heisst das Selbst vergessen. Das Selbst vergessen, bedeutet von allen Dharmas verwirklicht zu sein. Von allen Dharmas verwirklicht zu sein bedeutet, den eigenen Körper–Geist wie den Körper–Geist der anderen abfallen zu lassen.”
(Dōgen Zenji, Shōbōgenzō Genjōkōan)
“Das Selbst erforschen” bedeutet, den Blick auf die “eigene Natur” zu richten. “Das Selbst vergessen” löst das “Anhaften an Merkmalen”. Denn eben dieses Anhaften – und nicht mehr – ist ‘Selbst’. Aber kommen wir nun zum Schluss unseres Wuzhu-Zitates:
“Die Anwesenheit des Geistes ist [wie] Wellen im Ozean, aber ‘kein Geist’ ist Irrlehre. Das Einnehmen von Geburt und Tod ist der Makel der Wesen, das Verweilen in der Stille ist die Regung von nirvāṇa. Nicht das Einnehmen von Geburt, nicht das Verweilen in der Stille, ‘nicht das Eintreten in samādhi, nicht das Verweilen in sitzender Meditation – es gibt keine Geburt und keine Praxis, und der Geist ist ohne Verlust oder Gewinn.’ Schatten und Körper sind beide negiert, und weder Natur noch Eigenschaften sind aufgestellt.”
Wuzhu wäre nicht Wuzhu,
kletterte er nicht
Vimalakirtis Fahnenmast hinauf
zur Spitze, um dann blind
den Schritt ins Leere zu gehn.
Sagt: fällt er auf die Nase?