Am 31.7. kam der Moment, auf den ich seit dreizehn Jahren gewartet habe. Auf einer vierhundert Jahre alten Wassermühle – der Altbäckersmühle im Taunus – wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, fand meine Jukai Zeremonie statt. Gemeinsam mit vier anderen Aspiranten wurden wir zum Bodhisattva, zum Zen- Laienmönch ordiniert. Schon als ich das erste Mal das Buch: „Der leere Spiegel“ las, welches die Beschreibung eines Zen Klosters darstellt, träumte ich davon Mönch zu werden. Dieses Ereignis der Laienordination möchte ich in der Retrospektive mit Euch teilen.
Ich war bei der Zeremonie so aufgeregt, dass ich heute den chronologischen Ablauf nicht mehr in der korrekten Reihenfolge wiedergeben kann. Vor der eigentlichen Zeremonie schritten wir zu fünft durch den Garten und chanteten: OM NAMU BUTSU BUDDHA SHAKYAMUNI. Wir waren wohl etwas schüchtern, weil HoKai meinte, wir würden beim Chanten eher flüstern. An fünf verschiedenen Orten des Tempels brachten wir Räucherstäbchen dar und schritten dann ins Zendo, wo die eigentliche Zeremonie stattfand. Ich weiß noch, dass es mit etlichen Niederwerfungen anfing. Eine sportliche Betätigung bei dem Wetter. Wir bekamen von unserem Meister zwanzig Gelübde übertragen. Normalerweise sind es sechzehn, aber ungewöhnlicherweise übertrug HoKai uns vier weitere. Dazu zählen zum Beispiel die zehn Tugend Empfehlungen eines Bodhisattva. Dann bekam jeder von uns seinen Dharma Namen. Mein Name lautet HiMon; Tor des MItgefühls. Der Name basiert auf dem, was unser Lehrer in einem jeden von uns sieht. In meinem Fall ist es wohl eine Aufgabe für mein Leben. Zudem übergab uns HoKai unsere Rakusus (kleine Roben) Innen steht unser Name und ein Spruch. In meinem Rakusu steht: “Sei, wie reine Seide und scharfer Stahl.” Dies ist ein Zitat von Shunryu Suzuki Roshi. Als wir die Roben empfangen haben, rezitierten wir mit den Rakusus auf dem Kopf zusammen das Kesa Sutra. Zunächst in japanisch und anschließend auch in deutsch:
Großes Gewand der Befreiung
Feld, jenseits von Form und Leere.
Die Robe des Tathagata tragend,
Mit allen Wesen erwachen.
Bevor wir die Robe empfingen, rezitierten wir:
Ich, HiMon, Jünger des Buddha, empfange die Robe mit fünf Bahnen.
Jede Bahn besteht aus einem kurzen und einem langen Stück
Ich werde dieses Gewand des Buddha tragen, mit Körper und Geist.
Im Bewusstsein der heutigen Bedeutung.
Dann bekamen wir noch auf Papier die Blutlinie überreicht. Also den Verlauf der Patriarchen, von Buddha Shakyamuni, bis zu HoKai. Jener räucherte sie und überreichte sie uns dann. Als der zeremonielle Teil etwas abebbte, haben uns verschiedene Menschen gratuliert. Zum Beispiel die beiden Roshis (alte Zen Meister) der Linie, GenKi und KyuSei, die gleichzeitig auch die Eltern von HoKai sind. Sie haben dabei ein Gedicht von Ryokan rezitiert, meinem liebsten Zen Dichter. Ich musste lächeln dabei. Auch verschiedene andere Menschen haben uns ihre guten Worte mit auf den Weg gegeben.
Das Ganze fand statt, am Ende eines Sesshins (intensive Meditationswoche). Das Sesshin wurde abgehalten in Gedächtnis an den japanischen Meister meines Meisters, Kobun Chino Otogawa Roshi, der am 26.7. vor zwanzig Jahren in einem Teich in der Schweiz ertrunken ist. Er versuchte seine Tochter vor dem Ertrinken zu retten, obwohl er selbst nicht schwimmen konnte. In einer Lehrrede, die wir bei dem Sesshin von ihm gehört haben, heißt es: “Die Zenpraxis ist die Kerze, die in deiner dunkelsten Kammer brennt.” Das hat mich sehr berührt.
Bei einem Dokusan (Einzelgespräch) mit HoKai sagte er zu mir, dass es gut wäre, wenn ich einen alten Groll einer bestimmten Person gegenüber überwinden würde. Eine der Früchte dieses Sesshin ist für mich, dass ich mir vorgenommen habe, zumindest zunächst innerlich, daran zu arbeiten, einer bestimmten Person irgendwann noch einmal eine Chance zu geben. Ich hatte gerade beschlossen, dies nicht mehr zu tun. Die erste Zeile der vier Bodhisattva Gelübde lautet: “Die Lebewesen sind zahllos. Ich gelobe sie alle zur Befreiung zu führen.” Das ist natürlich symbolisch gemeint. Konkret heißt es, dass man jedem Wesen gegenüber offen und hilfsbereit sein will, dem man innerlich und äußerlich begegnet. Es wäre von mir nicht aufrichtig, wenn ich sagen würde: “Ich bin für alle offen, nur für den da nicht.” Manchmal bedarf es dazu erst mal einem inneren Prozess, innerer Arbeit, an die ich mich nun geben möchte. Für mich heißt das konkret zu vergeben, indem ich mich jedes mal, wenn mein Verstand anfängt mir Geschichten von früher zu erzählen, mein Bewusstsein liebevoll in die Gegenwart zurückhole. Das Leben im gegenwärtigen Moment ist für mich das meditative Herz des Zen.
Eine andere Frucht des Sesshins ist, dass ich beschlossen habe, nichts mehr zu tun, um meine Ängste zu beenden. Ich habe so viel deswegen versucht. Nun habe ich beschlossen, einfach den Zenweg weiterzugehen, ohne darauf zu schielen, dass meine Angst enden soll. Mit dieser Entscheidung fällt mir ein Mühlstein von der Seele. Angst darf sein. Alles darf sein. Nichts wegschieben, nichts heranziehen.
Es hat zwar nichts direkt mit den Gelübden zu tun, aber ich habe auch beschlossen, dass ich zum Beispiel auf Zucker und Spielfilme verzichten will. Die zweite Zeile der Bodhisattva Gelübde lautet: Die Begierden sind unermesslich zahlreich. Ich gelobe sie alle zu überwinden.
In einem Dokusan fragte mich HoKai, was die Bodhisattva Ordination für mich bedeuten würde. Ich sagte, dass es für einen totalen Neuanfang bei mir stehe. Interessanter Weise sagte er, dass die Ordination im Zen für eine neue Geburt steht. Interessant deshalb, weil ich genau diesen Gedanken zuhause bereits gehabt hatte: Eine neue Geburt.
Das Ganze geht auch zufällig damit einher, dass ich gerade einen neuen Job mit mehr Freizeit habe. Diese Zeit werde ich zu einem großen Teil zur Meditation nutzen. Zudem möchte ich die Kunst der abendländischen Kalligraphie erlernen und meine Haikus kalligraphieren. Außerdem will ich an einem buddhistischen Buch weiterschreiben, welches ich einmal begonnen hatte. Mit der Erlaubnis von HoKai gebe ich gerade Einführungen für drei Menschen in Zazen (Sitzmeditation). Ich weiß, dass ich nicht reif dafür bin Meditationslehrer zu sein. Es sind deswegen bloß Einführungen. Wenn der Eine oder Andere dabei bleiben sollte, werde ich sie weiter zu HoKai schicken. Außerdem möchte ich mich wieder verstärkt der Fotografie widmen, die rückblickend meine erste Achtsamkeitsübung war. Das sind alles Dinge, die in den letzten Jahren liegengeblieben sind.
Wie Ihr seht, ich habe mir viel vorgenommen.
HoKai hat während der Ordination gesagt, dass die Bodhisattva Ordination nicht zur Selbstverherrlichung da sei. Ich gestatte mir trotzdem so viel Stolz, dass ich das jetzt mit Euch teile. Denn dieser Neuanfang ist etwas ganz Besonderes für mich. Ich erlebe ihn als sehr freudvollen Neuanfang. Das möchte ich mit Euch teilen, in einem Gefühl, die ganze Welt umarmen zu wollen.
Wen es wundert, dass ich jetzt Laienmönch bin, weil ich doch mit Ruth zusammen bin: Zenmönche müssen nicht zölibatär leben. Wir sind seit fünf Jahren glücklich miteinander und von mir aus kann das auch für immer so weitergehen.
Ich schließe mit einem Haiku, das auf dem Sesshin entstanden ist:
Schmetterlinge
betrinken sich am Flieder.
In Herzensfreude
Mögen alle Wesen glücklich sein.
HiMon
Vielen dank für das Teilen über eine berührende “neue Geburt” ich wünsche gesundes Wachstum und gelingendes Gedeihen.
Welch ein berührendes Haiku! Danke dass Du es mit uns geteilt hast!!!